Zunge-Lesen ist eine Kunst, die in allen vormodernen Medizinsystemen bezeugt ist. Auch die TherapeutInnen der TEM vom Mittelalters bis hinauf zum Barock waren darin versiert.
Zunge und TEM
Zungendiagnose ist ein Kernstück der TCM-Diagnose. Im Reich der Mitte hatte man diese Methode schon früh detailliert ausgearbeitet. In der TEM dauerte es hingegen, bis man zu einem geordneten System gelangte. Es gibt zwar seit Hippokrates aussagekräftige Belege, dass viele Ärzte, Therapeuten, Bader und Baderinnen sowie Hebammen exzellent die Zunge lesen konnten, aber erst in Büchern der frühen Neuzeit und im Barock findet man dann ein klares System der Zungendiagnose, an dem ganzheitliche denkende Fachleute und Laien heute keinesfalls vorbeigehen sollten.
Zunge als Spiegel
Die Grundlogik der „Landkarte Zunge“ ist simpel: Die Zungenspitze entspricht dem Oberkörper des Menschen, die Zungenmitte der Mitte des Rumpfes, der Zungengrund dem Unterleib und der Zungenrand den Flanken. Auffällige Erscheinungen wie Verquellung, pralle Schwellung, Durchblutungsmangel oder Rötung lassen sich daher gut zuordnen: Treten diese an der Zungenspitze oder dem obersten Zungendrittel auf, so weisen sie auf Herausforderungen im Bereich Herz, Lunge, Bronchien und Brust hin. Treten derartige Zeichen hingegen in der Zungenmitte auf, so sind Probleme von Magen, Pankreas und Milz zu vermuten. Am Zungengrund stehen sie für verschiedenen Probleme von Darm, Blase oder Nieren; an den Zungenrändern für den Zustand von Leber und Gallenblase.
Beispiel: Röte gleich Hitze
Die TEM gibt als Regel mit auf den Weg: Ein Symptom ist kein Symptom. Insofern dürfen Zungenzeichen nicht vorschnell überinterpretiert werden. Wo allerdings mehrere diagnostische Zeichen in die gleiche Richtung weisen, kommen wir zu einem aussagekräftigen Befund. Ein Beispiel: Auf dem obigen Zungenfoto ist die Zungenmitte deutlich „überrötet“, in dem Bereich, der dem Funktionskreis Magen zuordnet wird (siehe Pfeile). Die deutlich sichtbare Röte (rubedo) weist auf Hitze in diesem Funktionskreis hin. Man wird bei einem Patienten mit einer solchen Zunge genauer nachschauen, ob es noch weitere Indizien gibt, dass hier ein Zuviel von Gelbgalle und/oder hitzige Fülle im Magenfunktionskreis vorliegt, und den heißen Magen mit einer passenden Rezeptur sanft kühlen (etwa durch Löwenzahn, Enzian, Tausendgüldenkraut, Berberitze) bzw. die gestaute Fülle in diesem Bereich ausleiten.
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Wichtiger Hinweis: Dieser Artikel wurde auf Grundlage (zur Zeit der Veröffentlichung) aktueller Studien verfasst und von MedizinerInnen geprüft, darf aber nicht zur Selbstdiagnose oder Selbstbehandlung genutzt werden, ersetzt also nicht den Besuch bei Ihrem Arzt. Besprechen Sie daher jede Maßnahme (ob aus diesem oder einem anderen unserer Artikel) immer zuerst mit Ihrem Arzt.